Winzer sehen Weinbau am Kaiserstuhl wegen EU-Gesetzesentwurf in Gefahr

Artikel aus der gedruckten BZ vom Do, 02. Februar 2023

Ein Gesetzentwurf der EU-Kommission sieht vor, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten zu verbieten. Am Kaiserstuhl wären 90 Prozent der Flächen betroffen. Es regt sich Widerstand.

Es ist erst wenige Jahre her, dass die Weinbauern in der größten badischen Weinbauregion ihre Existenz gefährdet sahen. Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ führte zu heftigem Protest und zum Aufstellen grüner Kreuze. Nach Gesprächen mit Naturschützern und der baden-württembergischen Landesregierung wurden Kompromisse erzielt, die im Biodiversitätsstärkungsgesetz festgehalten wurden. Es brachte Einschnitte für Landwirte mit sich, stellte ihre Existenz aber nicht in Frage.

Nur vier Jahre später sieht dies anders aus, wie bei einer Diskussion mit dem FDP-Europaabgeordneten Andreas Glück in der Winzergenossenschaft Oberbergen deutlich wurde. Ein Entwurf der EU-Kommission zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sieht nicht nur eine Halbierung der Menge bis zum Jahr 2030 vor, sondern auch ein Verbot in Schutzgebieten. Da rund 90 Prozent der Flächen des Kaiserstuhls unter Schutz stehen, wäre die Region von der neuen Verordnung, sollte sie in dieser Form umgesetzt werden, extrem stark betroffen.

Selbst biologische Mittel wären nicht erlaubt

Selbst mit biologischen Mitteln wie Tees dürften die Reben nicht mehr behandelt werden. Das könnte nicht nur das Aus für die konventionell arbeitenden Betriebe, sondern auch für Öko-Winzer bedeuten. Piwis, also pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die kaum oder gar nicht gespritzt werden müssen, haben sich am Markt noch nicht durchgesetzt.

Kilian Schneider, Aufsichtsratsvorsitzender der WG Oberbergen und ehemals badischer Weinbaupräsident, hatte den Europaabgeordneten eingeladen und führte in das Thema ein. „Alle 400 Hektar Rebfläche unserer Winzergenossenschaft liegen im Vogelschutz- und 60 Hektar im Fauna-Flora-Habitat-Gebiet. Ohne Pflanzenschutz könnten wir unsere Reben nicht mehr bewirtschaften, die Genossenschaft müsste schließen“, betonte er. Vor 50 Jahren seien noch wesentlich „härtere Pflanzenschutzmittel“ ausgebracht worden. Dennoch seien in den Weinbergen so viele unterschiedliche Tiere und Pflanzen zu finden, dass sie unter Schutz gestellt worden seien. „Wir können also nicht alles falsch gemacht haben“, zeigte sich Schneider überzeugt.

„Wenn es nach mir geht, hätte die EU-Kommission ihren Antrag erst gar nicht einbringen sollen. Denn ich gehe davon aus, dass die Winzer nicht zu viele Pflanzenschutzmittel ausbringen, weil diese ja auch Geld kosten“, sagte der FDP-Europaabgeordnete Glück, der unter anderem dem wichtigen Umweltausschuss der EU angehört. Er erklärte, dass der Vorschlag der EU-Kommission zunächst einmal im Umwelt- und Agrarausschuss der Europäischen Union beraten werden müsse. Danach komme die Vorlage, eventuell mit Änderungsvorschlägen, ins EU-Parlament.

Winzer sollen und wollen sich Gehör verschaffen

„Wir befinden uns derzeit ganz am Anfang eines Gesetzgebungsverfahrens. Jetzt kann man Dinge noch verändern“, sagte Glück. Wichtig sei, sich nun zu Wort zu melden und Gehör zu verschaffen. Er empfahl den Kaiserstühlern, sich mit ihrem Protest an alle Abgeordneten der Region zu wenden. „Der EU-Gesetzentwurf, der vorsieht, dass in Schutzgebieten keinerlei Pflanzenschutzmittel mehr ausgebracht werden dürfen, ist nicht nur schlecht gemacht, sondern geht völlig an der Realität vorbei“, so Glück.

In Deutschland gebe es viele Flächen, die unter Schutz stünden. Man dürfe die Kulturlandschaft nicht zerstören. Auch der Vorschlag, die Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, mache keinen Sinn, weil hier in Kilogramm gerechnet und nicht zwischen eher umweltfreundlichen und eher umweltschädlichen Substanzen unterschieden werde.

Rudert EU-Kommission bereits zurück?

„Ich habe aber den Eindruck, dass die EU-Kommission beginnt, langsam zurückzurudern, weil der Aufschrei so groß ist. Das ist ein gutes Zeichen“, so die Einschätzung des FDP-Politikers. Es gebe aber auch Abgeordnete, die „den Antrag weiter pushen wollen“. Als Beispiel nannte Glück die grüne EU-Abgeordnete und österreichische Star-Köchin Sarah Wiener, die für den Umweltausschuss einen Bericht verfasse.

Wiener weist auf ihrer Internetseite auf belastete Gewässer und Böden, schwindende Biodiversität, aussterbende Insekten und gesundheitsgefährdende Rückstände auf Lebensmitteln in Supermärkten hin. Es liege auf der Hand, dass der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft reduziert werden müsse. Sie hätten irreversible Auswirkungen auf Ökosysteme und Gesundheit. Weltweit seien 41 Prozent der Insektenarten vom Aussterben bedroht.

Der FDP-Politiker Glück sprach sich hingegen dafür aus, die Forschung bezüglich neuer Pflanzenschutzmittel zu intensivieren und das Zulassungsverfahren zu beschleunigen. „Es wird einen Kompromiss geben müssen. Doch wo kann dieser liegen?“, fragte Kilian Schneider, um gleich selbst eine Einschätzung abzugeben: „Vielleicht gelingt es, den Passus mit den Schutzgebieten zu streichen, wenn sich alle verpflichten, mehr biologische Pflanzenschutzmittel einzusetzen.“

Bürgermeister sieht „katastrophale Folgen“ für Vogtsburg

Sollte der Gesetzentwurf unverändert Realität werden, „hätte dies für Vogtsburg katastrophale Folgen“, sagte Benjamin Bohn, Bürgermeister von Vogtsburg, der größten Weinbaugemeinde in Baden-Württemberg. Ein positives Signal sei, dass die Landesregierung die geplante Verordnung ablehne.

Die hohe Biodiversität in den Weinbergen der Region sei das Resultat der Landnutzung. Würden Flächen verbuschen, gehe die Artenvielfalt zurück. Das Thema sei auch schon im Bürgermeistersprengel diskutiert worden. Der Vorstoß der EU komme zur Unzeit. Der Weinbau stehe unter einem hohen Kosten- und Preisdruck und vor einem Strukturwandel. „Alle Weinerzeuger müssen kämpfen. Die Winzer sind derzeit nicht optimistisch“, sagte Bohn.

Thomas Walz, Vizepräsident des badischen und des deutschen Weinbauverbandes, wies darauf hin, dass rund zwei Drittel aller deutschen Weinberge von der EU-Verordnung betroffen wären. Der deutsche Weinbauverband, inklusive der Öko-Verbände, lehne ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten kategorisch ab: „Dies ist für uns nicht verhandelbar.“

Man wolle auch nicht, dass in Schutzgebieten künftig nur noch biologische Mittel erlaubt seien. Walz betonte, dass nicht nur der Weinbau, sondern auch der Tourismus mit vielen Arbeitsplätzen stark betroffen wäre. Offen sei man für Gespräche, welche Pflanzenschutzmittel in Zukunft vielleicht noch besser zur Umwelt passen würden.

Auch der Obstbau in der Region wäre betroffen

Der ehemalige Präsident des Badischen landwirtschaftlichen Hauptverbandes (BLHV), Werner Räpple, erklärte, dass auch der Obstbau massiv von der EU-Verordnung betroffen wäre. Denn dort sei man stärker auf Insektizide angewiesen als im Weinbau. Am Kaiserstuhl sei eine „hochqualitative Natur“ zu finden, es sei in ganz Deutschland das Gebiet mit der größten Artenvielfalt. Viele Touristen und Naturliebhaber besuchten deshalb die Region. Jahrzehnte lang sei nur negativ über Pflanzenschutzmittel diskutiert worden. Dabei werde vergessen, dass es auch am Kaiserstuhl früher Hungersnöte gegeben habe, als noch keine Pflanzenschutzmittel zur Verfügung gestanden hätten.

Glück
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